Stadtentwicklung: aus der Off-Kultur ins Künstlerhaus

Bayreuth ist bekannt: Richard-Wagner-Festpsiele, Weltkulturerbe Markgräfliches Opernhaus und Heimat des Literaten Jean Paul. Wofür Bayreuth nicht bekannt ist: ein zeitgenössische und lebendige Kunstszene. Hier setzte unser Kultur- und Stadtentwicklungsprojekt an.

Mit dem Beginn der Veranstaltungsreihe „Literaturcafé” setzten wir einen ersten Impuls. Wir wählten das Genre „Literatur” deswegen, nicht nur weil Literatur klassische Rezeptionsgewohnheiten mit „junger, zeitgenössischer” Formen des Schreibens und Lesens vereint, sondern auch weil es zu der Zeit keine Lesungen und Aufführungsformate in der Stadt gab. Diese Leerstelle galt es zu besetzen.

Mit dem Literaturcafé starteten wir ein Veranstaltungsformat, das literarischen Innovationen und bekannten Literat:innen eine Bühne gab, um entsprechend Öffentlichkeit zu generieren. Für das interessierte Publikum wurden in regelmäßigen Abständen und an wechselnden Plätzen im Stadtraum Lesungen organisiert, die sich im Laufe der Zeit immer größeren Zuspruch erfreuten. Über 100 Lesungen in 10 Jahren mit bekannten Schriftsteller:innen wie Menasse, Melle, Kermani, Nora Gomringer, Grenzgänger:innen wie Fuck Hornisschen Orchestra, Hazel Brugger, Lydia Daher, Christiane Rösinger und den Berliner Lesebühnen LSD, Surfpoeten und Chaussee der Enthustiasten bis hin zur „jungen Literatur” eines Clemens Mayer, Ron Winkler und Kirstin Fuchs.

Das Plakat anlässlich des 10 jährigen Jubiläums Literaturcafé Bayreuth.

Wir konnten zudem den Anstoß geben, dass Volker Strübing das Stadtschreiber-Stipendium anlässlich des Jean Paul-Jahres erhielt. In den 3 Monaten seiner Residenz begleiteten wir ihn bei Lesungen und zu Happenings und kümmerten uns um die Öffentlichkeitsarbeit.

Volker Strübing, Bayreuther Stadtschreiber während des Jean Paul-Jubiläums, las im Forum Phoinix und setzte damit den wichtigsten Impuls, der Bayreuther Off-Szene einen Raum und entsprechende Öffentlichkeit zu verschaffen.

Das Aktivierungspotential wirkte bis in die Offszene hinein und führte letztendlich dazu, dass mit der Veranstaltungsreihe „Sübkültür am Dienstag” – wesentlich inspiriert von Volker Strübing – ein wöchtliches Format etabliert wurde.

Zum (Nach-) Lesen:
„Sübkültür feiert Geburtstag”
und: „wie alles begann”

aus: Nordbayerischer Kurier

Ermöglicht wurde die Reihe durch die Künstlergruppe Forum Phoinix, die seit 2001 in einem von der Stadt Bayreuth überlassenen, zwischengenutzten Haus – einer ehemaligen Metzgerei – in der Innenstadt Ausstellungen organisieren und Vereinsabende anbieten. Mit der Schokofabrik, einem alternativen, städtisch geförderten Jugendzentrum mit Fokus auf Skater:innen und Live-Konzerte, konnten zudem diverse Kooperationen vereinbart werden. Erst durch diese Kombination war es möglich, den Forderungen nach kultureller Vielfalt in einer musealen, vergangensheitsbezogenen Atmosphäre Gehör und Nachdruck zu verschaffen. Auch mit Interventionen in die städtische Kulturpolitik und in die Pläne der Stadtentwicklung.

Das Format ”Sübkültür am Dienstag” ermöglichte Kollaborationen mit weiteren Playern der Bayreuther Kulturszene wie „Schokofabrik”, „Kino ist Programm”, „Kontrast Kurzfilm-Festival” und Kunstmuseum, Iwalewahaus und „Zentrum”.

Die dadurch enstandene öffentliche Stimme verstärkte das Interesse eines breiteren Publikums. Und verschaffte Möglichkeiten mit weiteren Institutionen, Kunst- und Kulturvereinen genauso wie mit Künstler:innen gemeinsame Projekte und Austausch zu initiieren. So war es zuletzt möglich, mit gemeinsamer Kraft die Diskussion um kulturelle Freiräume – besonders intensiv während des Stadtrat-Wahlkampfs – zu bestimmen. Mit diesen kulturpolitischen Interventionen wurde das Fundament geschaffen, um darauf ein in Eigenverantwortung betriebenes, und von der Stadt zur langfristigen Nutzung überlassenes, Künstlerhaus zu errichten.

Das Forum Phoinix wurde von einer Bayreuther Künstler:innen-Initiative 2002 gegründet und nutzte das sanierungsbedürftige Haus in der Innenstadt für Ausstellungen. 2013 wurde in diesem Rahmen die Veranstaltungsreihe „Sübkültur am Dienstag” etabliert und führte in der Folge zu Kooperationen mit weiteren kulturellen Playern.

Entscheidend für die öffentliche Zustimmung und für das positive Votum des Stadtrats war, dass sich der Ort schnell vom Geheimtipp zum Fixpunkt des Kulturlebens entwickelte. Außerdem schaffte man, was lange diskutiert aber bis dahin nicht erreicht wurde: Bei den Veranstaltungen trafen sich Jüngere und Ältere ebenso wie – so oft gefordert und so selten erreicht – Ortsansässige und Studenten. Aufgrund der stadtpolitischen Interventionen der Initiator:innen und der über 500 erfolgreichen Veranstaltungen, die die Leerstelle „zeitgenössisches Kulturleben” besetzten, erhielt diese Idee soviel Gewicht, dass der Stadtrat beschloss, das Haus zu sanieren und es in Folge dem neu gegründeten Trägerverein „Neuneinhalb” – dem Zusammenschluss der vorher autark agierenden Vereinen Forum Phoinix, Kültürklüb und Kino ist Programm – zu überlassen. Die Sanierung ist im Zeitraum 2021 bis 2024 geplant. So konnte die Idee, ein Künstlerhaus in Bayreuth zu etablieren, erfolgreich realisiert – und das Projekt damit abgeschlossen – werden. (Anm: Während der Sanierung stellt die Stadt eine Ausweichspielstätte zur Verfügung, um die inzwischen lebendige Off-Kultur weiterhin zu fördern.)

Weiterführende Links:
FORUM PHOINIX
TRÄGERVEREIN NEUNEINHALB
SÜBKÜLTÜR AM DIENSTAG
KINO IST PROGRAMM
SCHOKOFABRIK

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